Beschwerdemanagement: Ventil für dicke Luft
Jede Praxis benötigt ein Ventil für dicke Luft: Nicht immer funktioniert der Arbeitstag reibungslos. Jede Ordination braucht einen Plan, mit Beschwerden richtig umzugehen.

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Gemeckert wird immer. Für den Bereich der Gesundheitsdienstleistungen gilt dies ganz besonders. Die Tatsache, dass Praxisleitung und Ordinationsteam bei der Arbeit keine Patientenklagen zu hören bekommen, bedeutet nicht, dass die Patienten keinen Grund zur Klage sehen. Die Düsseldorfer Ärzteberatung IFABS hat erhoben, dass „nur etwa zwei Prozent aller Praxisbesucher sich bei Ärgernissen direkt in der Ordination beschweren.“ Der Rest der Enttäuschungen wird in die Welt hinausgetragen – über Social Medias, Stammtische und Teekränzchen. Genau das soll nicht passieren. Aktives Beschwerdemanagement soll dazu führen, dass der Patient seinen Ärger in der Ordination lässt.
Beschwerdeprävention: Vorbeugen und lenken
Bei Beschwerden werden die Erwartungen des Patienten nicht erfüllt – egal, ob diese realistisch waren oder nicht. Ein strukturiertes Beschwerdemanagement unterscheidet dabei zwischen Beschwerdeprävention und der Beschwerdebehandlung. Gerade Medizinerinnen und Medizinern ist klar – und der Kalauer sei erlaubt: Vorbeugen ist besser als heilen.
1. Patientenbefragungen: Die Antennen der Ordination
Die Befragung ist das zentrale Element der Beschwerdeprävention. Durch sie erfährt die Ordinationsleitung, wie die Praxis und das Team wahrgenommen werden. Normalerweise wird die Zufriedenheit der Patienten anhand mehrerer Fragen in Noten abgebildet. Dabei ist auch zu erheben, wie wichtig einzelne Positionen oder Leistungen dem Patienten sind. Wenn der Patient anmerkt, dass er das Lesezirkelangebot aktuell und gut findet, ihm dies aber eher egal ist, dann sind die Pluspunkte von geringer Bedeutung. Andererseits sind Klagen über besetzte Telefone während der Sprechstunden ernst zu nehmen, da Termine und Rezepte nicht organisiert werden. Unterm Strich muss das Ordinationsmanagement bei zentralen Beschwerdepunkten trachten, sie zu seinen Kernstärken zu machen.
2. Erhebung der Eigensicht
So richtig spannend werden Patientenrückmeldungen dann, wenn sie mit der Eigensicht über Stärken und Schwächen verglichen werden. Daher sollte sich zu jeder Patientenbefragung auch das eigene Team inklusive Chef/Chefin äußern. Werden grobe Unstimmigkeiten zwischen interner und externer Sicht festgestellt, besteht bei den bemängelten Leistungsmerkmalen Handlungsbedarf.
3. (Leistungs-)Versprechen halten
Eine weitere Dimension zur Übereinstimmung von Eigen- und Fremdwahrnehmung ist die Abdeckung des Leistungsportfolios. Werden die auf Homepage und in der Ordination versprochenen Eigenschaften allesamt abgedeckt? Wer auf der Webseite verspricht, dass er auf die Wünsche seiner Patienten eingeht und sich Zeit nimmt, sollte überprüfen, ob dies auch so wahrgenommen wird.
4. Patientenkarte
Das wenig aufwändige Instrument der Patientenkarten soll ständige Rückmeldungen der Patienten provozieren. Die Karten liegen am Empfang auf, werden den Patienten von der Assistentin aktiv in die Hand gedrückt und beinhalten zwei oder drei Fragen zu Organisation, Betreuung oder Team zum Ankreuzen. Die Karten können in eine Box geworfen werden, die an diskreter Stelle am Weg zum Ausgang platziert wird. Dabei ist noch eine offene Frage zur allgemeinen Befindlichkeit sinnvoll: „Gab es beim heutigen Besuch etwas, was Sie gestört hat?“
Beschwerdebehandlung: Beruhigen und verbessern
Prävention hilft nicht immer. Kommt es zu einer Beschwerde, sollte jedes Ordinationsteam auf einen Verhaltenskodex zurückgreifen können. Wichtig ist: Zuerst den Patienten beruhigen und so weit wie möglich wieder zufriedenstellen. Dann erst kann daran gearbeitet werden, den konkreten Beschwerdegrund zu beseitigen.
1. Aufregung dämpfen
Ärztin/Arzt sowie das Ordinationsteam sollten auf die Beschwerden zuerst einmal mit unverbindlichem Verständnis reagieren. Die Floskel „Ich verstehe Sie“, „es tut mir wirklich leid“, „wir arbeiten daran“ wirken in diesem Zusammenhang beruhigend. Es ist aber in dieser Phase keinerlei Entschuldigung oder Wertung notwendig.
2. Keine Schuldzuweisungen
Nach der Deeskalation kommt das Suchen nach Lösungen. Auf alle Fälle darf nicht auf Kompetenzlosigkeit wie „dafür bin ich nicht zuständig“ oder auf jemand anderes Versagen verwiesen werden wie „dies ist ein Fehler der Kollegin, des Lieferanten, der Bank“. Dies wird immer als Ausrede gedeutet.
3. Lösungsvorschläge
Am Ende des Gesprächs sollte nochmals das Bedauern ausgedrückt und eine Lösung formuliert werden. Vielleicht kann ein neuer Termin helfen, der Hinweis auf Ansprechpartner bei den Krankenkassen beruhigen oder auf eine Methode hingewiesen werden, wie Rezepte ohne Wartezeit ausgestellt werden können.
Beschwerden in Sozialen Medien
Außerhalb der Ordination wird Kritik heute über Bewertungsplattformen und Soziale Medien geäußert. Auch hier ist zuallererst zu unterscheiden, ob es sich bei der geäußerten Kritik um eine subjektive (Negativ-)Meinung („die Ordinationseinrichtung ist altbacken“) oder eine echte Beschwerde handelt („Wartezeiten von zwei Stunden sind nicht hinnehmbar“). Bei Ersterem ist eine freundliche, aber rasche Antwort des Bedauerns ausreichend. Eine Entschuldigung ist nicht notwendig.
Bei konkreten Beschwerden mit objektiven Hintergründen muss hingegen rasch reagiert werden. Der Patient wird informiert, dass man sich um Aufklärung bemüht. Dann muss entschieden werden, ob eine fällige Erklärung über private oder öffentliche Kanäle abgegeben wird. Ist der Problemfall vollständig abgeschlossen, empfiehlt es sich, eine erneute Nachricht oder einen Kommentar auf dem entsprechenden Kanal zu verfassen. Für die Öffentlichkeit muss nachvollziehbar sein, dass man sich gekümmert hat.
Definierte Vorgangsweise
Gibt es ein strukturiertes Beschwerdemanagement, wissen Mitarbeiter wie Praxischefs, wie Klagen vorgebeugt und Stresssituationen entschärft werden können? Dies erleichtert Mitarbeiter – auch ohne lange Praxiszugehörigkeit – rasch, mit derartigen Situationen im Sinne der Ordination umzugehen. Der Arbeitstag wird leichter.
Wartezeiten als Brandbeschleuniger

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Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/706887/umfrage/umfrage-zur-wartezeiten-in-arztpraxen-in-deutschland/. Weitere Informationen: Forschungsgruppe Wahlen; 2008 bis 2021; 4.512 (2021); ab 18 Jahre; Befragte, die im letzten Jahr beim Arzt waren; Telefonische Befragung.
Die Statistik zeigt eine Umfrage zu Wartezeiten in Arztpraxen in Deutschland bis 2021. Wartezeiten gelten als Hauptursache für unzufriedene Patienten und zentrale Ursache für Beschwerden. Dabei verweist der Trend auf eine verbesserte Praxisorganisation: Im Jahr 2021 gaben rund 43 Prozent der Befragten an, sie hätten Wartezeiten unter 15 Minuten gehabt.