DER NACHWEIS MACHT SICHER

Ärzte stehen in Fällen der Notfallmedizin auf dünnem rechtlichem Eis. Die genaue Dokumentation der Umstände verbessern den Eigenschutz bei Haftungsklagen.

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Das Thema zählt für Mitarbeiter des Rettungs- und Notarztdienstes zur täglichen Arbeit: Das Notfallteam, meist bestehend aus dem Notarzt und einem Sanitäter, wird zu einem Notfall gerufen und muss vor Ort Entscheidungen höchster Tragweite treffen. Absicherungen durch Rückfragen sind situationsbedingt unmöglich. Die Problematik der richtigen medizinischen Versorgung wird häufig verschärft durch Patientenwünsche, die dem medizinischen Rat entgegenstehen. Bei Noteinsätzen kommt es immer wieder vor, dass Patienten die Hilfeleistung bzw. den Transport ablehnen und einen Revers unterschreiben, dass sie nicht in das Krankenhaus mitfahren wollen. Abgesehen von allen medizinischen Fragen entsteht für den erstversorgenden Arzt ein rechtliches Problem: Wie weit ist der Wunsch des Patienten in dieser besonderen Situation zu respektieren, ohne dass der Arzt in den Strudel späterer Haftungsklagen hineingerissen wird?
 

KEINE EIGENMÄCHTIGKEITEN

Die Situation ist durch zahlreiche Gerichtsentscheidungen aufbereitet: Das „Urteil des Arztes entscheidet, ob der Patient die Tragweite seines Wunsches erkennen kann oder ob der sich in einem Zustand befindet, in der der Arzt für ihn denken muss“, stellte Rechtsexperte Dr. Michael Halmich anlässlich des 2. Wiener Neustädter Notfallkongresses fest. Halmich ist Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfall- und Katastrophenmedizin. Das Szenario ist dabei von höchster Relevanz: Schock und Alkoholisierung sorgen in notfallmedizinischen Situationen häufig dafür, dass die Urteilsfähigkeit eines Patienten beeinträchtigt ist. Der Wille des Patienten ist daher nicht immer allein ausschlaggebend. Aber wer entscheidet dann?

Eines vorneweg: Für den Einsatz von Zwangsmitteln durch den Arzt oder Rettungsdienst gibt es keine gesetzliche Grundlage. Derartige Befugnisse kommen der Exekutive zu. Wenn der Patient auf einen Krankenhaustransport verzichten will, dann soll er dies tun. Ist der Patient beispielsweise an einer Weiterfahrt mit dem Auto aus Gründen der Eigengefährdung oder Gefährdung für Dritte zu hindern, dann ist dies nur unter Beiziehung der Polizei möglich.

Greift der Patient die Helfer körperlich an, dürfen Einsatzkräfte vom Notwehrrecht Gebrauch machen. Doch oft kommt es zu strittigen Situationen. Der alkoholisierte Patient droht im Rettungswagen dem Rettungsassistenten, ihn gleich „mal so richtig fertig zu machen“, heißt es in einer Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Ausbildung in der Notfallmedizin (ÖGAN) zum Umgang mit alkoholisierten Patienten. Als sich der Patient von der Behandlungsliege aufrichtet und seinen Arm zum Schlag erhebt, greift der Rettungsassistent den Arm und fixiert ihn nach hinten, wobei es zu einer Sehnenruptur kommt. Laut Definition lag in der Androhung und in dem Anheben des Schlagarms ein unmittelbar bevorstehender Angriff. Für den Normalbürger wäre hier klar eine Notfallsituation gegeben. Einsatzkräfte haben allerdings besondere Schutzpflichten. Demnach wird juristisch von ihnen die Inkaufnahme von gewissen, mit der Versorgung verbundenen Gefahren erwartet. In dem Fall wäre – aus Juristensicht – ausweichen besser gewesen als abwehren. Empfehlung der ÖGAN: Droht die Situation während des Einsatzes durch die Aggressivität des Patienten zu eskalieren, ist dringend anzuraten, unmittelbar die Polizei zu alarmieren.

HAFTUNG MIT ZEITVERZÖGERUNG

Die Haftungsszenarien sind für Notärzte ähnlich. Entweder geht es um Fälle, in denen sich schwere Verletzungen an Unfallopfern erst später bemerkbar machen, oder es handelt sich um Patienten, die im Zuge der Unfallfolgen (Schockzustand, Alkoholisierung) Dritte verletzen. In beiden Fällen sind juristische Konsequenzen  für den Arzt denkbar, da der Patient gar nicht in der betreffenden Situation gewesen wäre, wenn der Mediziner – im Rahmen seiner Möglichkeiten – auf eine Einweisung oder Weiterbehandlung bestanden hätte.  Wenn der Patient später umkippt oder einen Verkehrsunfall verursacht, kann sich der Arzt leicht vor Gericht wiederfinden. In diesen Fällen sind vor Gericht Gutachter am Wort, ob man tatsächlich alles erdenkliche unternommen hat, um den Patienten vom Krankentransport zu überzeugen.

Aus juristischer Sicht lautet das Zauberwort Dokumentation. Je besser der Vorfall beschrieben und mit Indizien belegt werden kann, umso besser die Position des Arztes in einem späteren Gerichtsstreit. Das Vorweisen einer unterschriebenen Erklärung des Patienten, auf eigenen Willen und in Kenntnis der Konsequenzen gehandelt zu haben, ist dabei sicher hilfreich, jedoch aufgrund der „situationsbedingt fehlenden Urteils- und Einsichtsfähigkeit“ nicht ausreichend.  Natürlich ist es auch für den Arzt sinnvoll, sich in prekären Situationen der Zeugenschaft Anwesender zu versichern.  Besonders hilfreich kann dabei das Rettungspersonal sein, das vor Gericht mit einschlägigen Erfahrungswerten aufweisen kann. Augenzeugenberichte von Laien haben für den Richter geringere Aussagekraft: Sie können bezeugen, was sie gesehen haben. Schlüsse daraus zu ziehen, (ob der Betroffene noch wusste, was er tat) steht ihnen vor Gericht aber nicht zu.

SCHRIFTLICHE DOKUMENTATION

Betroffene Mediziner müssen sich immer vor Augen führen: Die relevante Würdigung der Dokumentation findet meist ein bis zwei Jahre nach dem Vorfall statt. Auftretende Erinnerungslücken und wechselnde Zeugenadressen sind in diesem Zeitraum nicht selten. Einwilligungserklärung und Zeugen bringen dabei selten die notwendige Entlastung. Maßgabe dabei ist die mögliche Nachvollziehbarkeit der Beurteilungsgrundlagen für den Gutachter. Je besser dem Richter oder der Richterin die Situation vor Augen geführt werden kann, umso beruhigter kann der Arzt einem Gerichtsspruch entgegensehen.
 

WIE BINDEND IST IM NOTFALLEINSATZ EINE TÄTOWIERTE PATIENTENVERFÜGUNG?

Vor einiger Zeit schaffte es ein Wiener in die Schlagzeilen, der sich auf die Brust „Keine Reanimation“ tätowieren ließ. Medizinrecht-Rechtsexperte Michael Halmich empfiehlt, nicht jede Willensäußerung eines nicht ansprechbaren Patienten für bare Münze zu nehmen. Eine Tätowierung „Keine Reanimation“ ist juristisch gesehen eine beachtliche Patientenverfügung. Diese sind relevant, für sich alleine aber nicht bindend. Nach dem Gesetzestext zur Patientenverfügung darf nur bei Vorliegen einer verbindlichen Patientenverfügung die Behandlung unterbleiben. Bei einer beachtlichen Patientenverfügung ist unter Klärung zahlreicher Fragen zu berücksichtigen, inwieweit der Patient über die Tragweite seines Wunsches von Medizinern aufgeklärt wurde. Da eine Tätowierung der Wortwendung „Keine Reanimation“ bei weitem nicht die Voraussetzung einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt, wird ihr daher eher eine untergeordnete Rolle zukommen. Nach Meinung von Halmich ist daher ein Unterlassen einer Reanimation in der präklinischen Phase allein aufgrund der Tätowierung nicht zu empfehlen ˗ und demnach aus juristischen Überlegungen auch nicht ratsam. Notfallmaßnahmen sollten eingeleitet werden.

WÜRDEN SIE ES SICH ZUTRAUEN, EINEN DEFIBRILLATOR IM FALLE EINES MEDIZINISCHEN NOTFALLS EINZUSETZEN?

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/611386/umfrage/umfrage-in-oesterreich-zur-moeglichen-anwendung-eines-defibrillators/.

Diese Statistik zeigt das Ergebnis einer Umfrage in Österreich zum Zutrauen in die mögliche Anwendung eines Defibrillators. Im Jahr 2016 gaben rund 28 Prozent der Befragten an, sich im Falle eines medizinischen Notfalls die Anwendung eines Defibrillators nicht zuzutrauen.