Tumorlysesyndrom
Kommt es bei einer Chemotherapie zum massiven Sterben von Tumorzellen, so kann durch deren Abbauprodukte die Ausscheidungskapazität der Niere überschritten werden und Nierenversagen drohen.
Besonders gefährdet sind Blutkrebs-Patienten, z.B. mit Non-Hodgkin-Lymphomen und akuten oder chronischen Leukämien. Leukämie und Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) werden meist mit Chemotherapie behandelt. Dabei werden den Patienten spezielle Medikamente (Zytostatika) verabreicht, die die Krebszellen angreifen. Die bösartigen Tumorzellen sollen damit so schnell wie möglich zerstört werden, so dass sich der Tumor verkleinert oder auch ganz verschwindet. Bei den meisten Lymphomen und Leukämien wirkt die Chemotherapie sehr gut und schnell. Gerade junge Patienten haben gute Chancen auf vollständige Heilung.
Die abgetöteten Zellen zerfallen in ihre Zellbestandteile und werden vom Körper abgebaut. Dabei spielt die Niere eine wichtige Rolle, indem sie Abbauprodukte und andere Giftstoffe über den Urin ausscheidet. Da jedoch bei diesen Erkrankungen die Zellmasse sehr groß sein kann und auch die Zerstörung durch die Chemotherapie sehr rasch erfolgt, wird die Niere mit Bestandteilen wie Phosphat, Kalzium und Harnsäure überflutet. Dabei kann die Ausscheidungskapazität der Niere überschritten werden, so dass sich diese Stoffe im Körper ansammeln.
Dies kann verschiedene Stoffwechselstörungen zur Folge haben, die unter dem Begriff "Tumorlysesyndrom" zusammengefasst werden (Lyse = "auflösen"). Dazu zählen: Herzrhythmusstörungen oder sogar Herzversagen durch hohe Kaliumkonzentration, Muskelverkrampfungen durch niedrige Kalziumwerte (z.B. als Atemwegsverengung im Kehlkopfbereich) und Ansammlung von Harnsäure im Körper (Hyperurikämie). Die Hyperurikämie kann die Nieren so nachhaltig schädigen, dass eine Dialyse (Blutwäsche) notwendig wird. Im schlimmsten Fall kann es zum akuten Nierenversagen kommen.
Die Symptome des Tumorlysesyndroms sind anfänglich sehr unspezifisch und für den behandelnden Arzt nur durch genaue Laborkontrollen erkennbar. Die Patienten fühlen sich unwohl und schwach, leiden unter Übelkeit und Appetitlosigkeit. Im weiteren Verlauf werden die Symptome stärker; Muskelschwäche, Krämpfe und Herzrhythmus-Störungen treten auf. Durch das beginnende Nierenversagen ist auch die Harnausscheidung stark vermindert. Der Zustand des Patienten verschlechtert sich zunehmend.
Wer ist gefährdet?
Das Risiko, ein Tumorlysesyndrom zu entwickeln, ist bei folgenden Patientengruppen besonders hoch:
- Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen und akuten oder chronischen Leukämien
- Patienten mit Tumoren, die eine große Zellmasse aufweisen
- Patienten, die bereits eine eingeschränkte Nierenfunktion haben
- Patienten, die im Vorfeld Medikamente erhalten haben, die die Niere schädigen (nephrotoxische Substanzen)
- Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten (Gefahr der Hyperurikämie)
Früh erkennen – rechtzeitig handeln
Sowohl die Früherkennung des Tumorlysesyndroms als auch die prophylaktische (vorbeugende) Behandlung der Patienten ist sehr wichtig und kann lebensrettend sein.
Bei einem Verdacht auf Tumorlysesyndrom erhält der Patient einen Zugang über die Armvene, über den schnell Infusionen und Medikamente verabreicht werden können. Zusätzlich wird sehr streng kontrolliert, was der Patient an Nahrung und Flüssigkeit zu sich nimmt und wie viel er davon ausscheidet. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine tägliche Gewichtskontrolle. Auch werden über die Blutwerte die Harnsäure-, Kalium- und Kalzium-Konzentrationen genau überwacht.
Moderne Medikamente beugen vor
Es gibt Medikamente, die der lebensgefährlichen Hyperurikämie beim Tumorlysesyndrom vorbeugen können. Besonders effektiv und schnell wirkt das Enzym Rasburicase aus einem Pilz, das mittlerweile auch gentechnisch hergestellt wird. Dieses Enzym, das bei vielen höheren Säugetieren natürlicherweise im Körper vorkommt, wandelt die Harnsäure im Körper um. Der so entstehende Stoff, das Allantoin, ist sehr gut löslich und bildet so, im Gegensatz zur Harnsäure, auch in großen Mengen keine Kristalle, die die Niere verstopfen und damit schädigen können. Es wird einfach über den Urin ausgeschieden.
Dieses von der Natur kopierte Prinzip ist genial und einfach zugleich. Bekommt der Patient bereits zu Beginn einer Chemotherapie das Enzym prophylaktisch verabreicht, wird die Niere dadurch nachhaltig geschützt: Es kann sich keine Harnsäure ansammeln, da sie sofort in das sehr gut lösliche Allantoin umgewandelt wird und mit dem Urin ausgeschieden wird. Somit wird die lebenswichtige Entgiftungsfunktion der Niere erhalten.
Gut verträglich im Einsatz
Auch Patienten, die sich bereits in einer chemotherapeutischen Therapie befinden, können von dem Enzym profitieren. Das Enzym kann die bereits angefallenen Mengen an Harnsäure sehr schnell wieder abbauen – meist sinkt der Wert innerhalb von nur vier Stunden um fast 90 Prozent. Das Besondere an diesem Enzym ist, dass es praktisch keine Nebenwirkungen hat und daher bei Patienten jeden Alters ohne Bedenken eingesetzt werden kann.
Datum: 06.11.2015
Letzte Aktualisierung: 20.07.2020